NACHHALTIGKEIT UND MARKE – Warum vegane Produkte keine Selbstläufer sind
horizont.net: Sogenannte Line Extensions von erfolgreichen Marken brauchen eine sorgfältige Vorbereitung und vor allem Customer Insights, um die Kommunikation sauber abzugrenzen. Dies ist die Erfahrung von Hans Mumme und Dr. Jens Wernecken, beide Client Director in der Kommunikationsforschung von INNOFACT, die am Beispiel von veganen Produkten die Dos and Don’ts der Markenarchitektur zeigen.
Die Erwartungen sind groß. Das neue vegane Produkt ist fertig, das Werbemittel finalisiert und die Konsumentinnen und Konsumenten werden nach ihrer Meinung gefragt. Wenn deren Zustimmung dann nur verhalten ist, ist die Enttäuschung ebenfalls groß. Vegan ist längst im Mainstream angekommen – daher nehmen immer mehr Markenartikler Alternativprodukte zu tierischen Lebensmitteln ins Sortiment auf. Teils unter einer neuen Marke, häufig aber als Erweiterung des Produktportfolios einer bestehenden Marke. Was häufig übersehen wird: Bei solchen Line Extensions verändert sich die Wahrnehmung und damit das Gesamtbild einer Marke. Durch die Alternativen erweitert sich das bestehende Markenbild um neue Eigenschaften. Die Integration von solchen Benefits und auch die Neuaufstellung des Markenkonstrukts sowie eine wirksame Kommunikation stellen keine triviale Aufgabe für Markenverantwortliche dar. Daher sollten sich Hersteller frühzeitig die Fragen stellen: Wofür steht die (Dach)marke, was ist das Gelernte und Geschätzte an der bisherigen Positionierung, wie ordnet sich das Neue hier überzeugend ein – und wie sage ich es dann dem Kunden?
Solch grundlegende Fragen sollten nicht „konsumentenfrei“ beantwortet werden. Gerade dann nicht, wenn es eine (vermeintliche?) Trend- und Wachstumswelle gibt, auf der man mitsurfen möchte: Dass vegane Alternativprodukte zur Markenaktualisierung beitragen und neue Absatzpotenziale erschließen können, bedeutet nicht, dass man es mit einem kommunikativen Selbstläufer zu tun hat. Unsere Arbeit für verschiedene Lebensmittelhersteller zeigt, dass zu generelle Argumente oder solche, die aus Sicht der Zielgruppe in die falsche Richtung gehen, das Markenbild verwässern oder sogar beschädigen können.
- Nutzen, was der Verbraucher schon gelernt hat.
Unsere Analysen zeigen, dass eine Dachmarke generelle Eigenschaften wie Hochwertigkeit oder Qualität beim Konsumenten vermitteln kann, diese aber nicht unbedingt für die Argumentationskette einer neuen Linie geeignet ist. „Neu und hochwertig“ – das funktioniert nicht wirklich, weil man doch nichts anderes als gute Qualität von einer etablierten und erfolgreichen Marke erwartet. Wenn, so unsere Erfahrungen aus etlichen Studien im Bereich Food, auf Qualität gesetzt wird, sollte diese am besten in einem belegbaren Zusammenhang etwa mit bestimmten Inhaltsstoffen geschehen oder bereits von der Dachmarke besetzten Produktvorteilen wie beispielsweise Knusprigkeit oder Cremigkeit verlängern. Und so kann man das nutzen, was der Verbraucher an der ihm bekannten Marke schätzt und was diese für ihn zu etwas Besonderem macht. Auch eine emotionale Erlebniswelt oder ein kommunikativer Besitzstand einer Marke gehören dazu und lassen sich auf die neuen Veggie-Angebote transferieren. - Entscheidend ist immer der Konsument.
Viele denken sich: „Vegan“ ist doch allein schon ein attraktives Argument. Oder nicht? Die Frage ist: Was genau ist gut an dem neuen, veganen Angebot einer Marke? Und zwar für den Konsumenten, denn der soll es ja kaufen. Wie auch bei umweltverträglichen Produkten muss bei Kommunikation für ein veganes Produkt umsichtig formuliert werden. Es darf nicht passieren, dass sie – von wem auch immer – als „Greenwashing“ bezeichnet und damit unglaubwürdig wird. Vor allem aber braucht es eine spezifische und zugkräftige Aufstellung aller relevanten Markenattribute. Und weil es um das Gesamtbild einer Marke und aller Aktivitäten geht, sollte man als Markenarchitekt frühzeitig Klarheit und Gewissheit haben, wie sich die Eigenschaft „vegan“ in ein ganzheitliches Konzept einfügt und für den Verbraucher in wichtigen Benefits ausdrücken lässt. Entscheidend ist immer der Konsument: Seine Bedürfnisse, seine Erwartungen, seine Perspektive sollten so konkret und so konsequent wie möglich aufgegriffen werden, will man sich kommunikativ nicht in eine erfolglose Richtung bewegen. - Deutlich machen, was neu ist.
Wobei die Ausrichtung „neu von der guten und bekannten Marke“ für Aufmerksamkeit, Interesse und bei gelungener Anbindung an die Dachmarke auch für einen Vertrauensvorschuss sorgen kann. Eine solche Bekanntmachung lässt sich durchaus in einen direkten Call to Action überführen: „Jetzt probieren!“ Für den Launch einer neuen Variante ist dies eine gängige und durchaus notwendige Argumentation – die aber noch nichts darüber aussagt, warum man die neue Variante denn probieren soll und wofür sie im Besonderen steht. Es geht also (wiederum) um spezifische Benefits, wenn man über die Einführungsphase hinausdenkt. - Was man isst, sollte gut schmecken.
Eine deutliche Versicherung, dass das neue, vegane Angebot vor allem auch lecker ist, ist bei bekannten Marken im Grunde einfach auszusprechen und wird dennoch nicht immer erfolgreich eingesetzt. Ein „lecker wie…“, nämlich wie gewohnt, wie immer, wie Du es kennst etc. sorgt für ein Grundvertrauen und sollte an die neue Eigenschaft „vegan“ direkt angebunden sein oder sogar in den Vordergrund treten. Je stärker eine Marke für besonders guten Geschmack steht, desto weniger will der Konsument bei einem neuen Produkt beim Geschmack Abstriche machen. Unsere Studien zeigen eindrucksvoll, wie wichtig eine prominente Geschmacksauslobung ist, um ein veganes Produkt attraktiv zu kommunizieren. Und auch, dass Konsumenten nicht überzeugt werden oder sogar desinteressiert sind, wenn sie die Geschmacksqualität entweder bezweifeln oder „nicht mitbekommen“. - Vorteile klar benennen.
Ganz wichtig in der Kommunikation: Was hat der Konsument davon, wenn er das Produkt kauft? Nun zuallererst: Man sollte es genauso gut essen können, wie das bisherige Produkt mit tierischen Inhaltstoffen. Es sollte also ein gleichwertiges Alternativangebot sein, welches man ohne Risiko auf Geschmackseinbußen wählen kann. An diesem Punkt sollte die Kommunikation jedoch nicht abbrechen. Denn eine Versicherung guten Geschmacks dient auch als „Eintrittskarte in die Genusswelt“. Guter Geschmack und Genuss sind überzeugend, wenn direkt und unwiderstehlich miteinander verbunden. Bei Warengruppen mit einem sehr hohen Genussfaktor – etwa Schokolade oder Eis – ist der Genussfaktor per se sehr hoch und sollte besonderes Gewicht in der Kommunikation bekommen. Die Anknüpfpunkte an weitere Benefits sind dabei vielfältig – ein immer wieder funktionierender Klassiker der Markenkommunikation ist, dass Freude eine direkte Genussfolge ist. Und Genuss hat viele Facetten, die man bespielen kann: Es lässt sich allein genießen oder aber in der Gemeinschaft, wie auch in verschiedenen Konsumsituationen und zu unterschiedlichen Verzehranlässen. Was später dann in der Werbung mit entsprechenden, genussvollen Verzehrszenen inszeniert wird, lässt sich schon sehr viel eher herausarbeiten und hinsichtlich seines Potenzials prüfen – nämlich auf frühen Konzept- und Entwicklungsstufen der Markenkommunikation.