Nachhaltigkeit muss messbar und machbar sein – von Christian Thunig

marktforschung.de: Nachhaltigkeit zu operationalisieren und damit messbar und quantifizierbar zu machen, ist für Marken wichtig, um sinnvolle nächste Schritte für ihr ESG-Management ableiten zu können. Christian Thunig von INNOFACT hat dafür das „Green Radar“ entwickelt, das hier anhand des Praxisbeispiels L’Osteria vorgestellt wird.

So breit Nachhaltigkeit bereits in der Gesellschaft angekommen ist, so sehr scheint Messbarkeit und Quantifizierbarkeit eine Herausforderung zu sein. Eher im Gegenteil: Viele Markenverantwortliche sind häufig bei der Definition von Nachhaltigkeit noch unsicher. Umso schwerer fällt es Unternehmen, Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen umzusetzen und operationalisierbar zu machen – geschweige denn eine Gesamtstrategie zu entwickeln.

Also was ist Nachhaltigkeit? Es ist eine Dimension ethischen Verhaltens und umfasst nicht nur die Vermeidung von Müll oder den Einsatz von recyclebaren Verpackungen. Nachhaltigkeit umschreibt die umfassende Verhaltensweise eines Unternehmens gegenüber der Umwelt. Das beinhaltet Prozess- und Produktionsabläufe, fairer Umgang mit Mitarbeitern und Lieferanten, wahrheitsgemäße Kommunikation und Werbung, natürlich das ressourcenschonend hergestellte Produkt selbst und Initiativen für den Planeten an sich.

Man erinnere sich an das sicherlich berühmteste Beispiel: die Regenwald-Initiative der Biermarke Krombacher. Es war mit der erste seiner Art in Deutschland. In die Literatur ist dies übrigens auch als Cause-Related Marketing eingegangen.

INNOFACT hat daher in Zusammenarbeit mit Grabarz Jmp und dem Green Fusion Network das „Green Radar“ entwickelt, das genau diese Dimensionen in einem 5 P-Konzept (Process, People, Product, Promotion, Planet) abbildet. Ziel war und ist es dabei, Nachhaltigkeit zu operationalisieren und damit messbar und quantifizierbar zu machen – für die eigene Marke aber auch für die Wettbewerbermarken, um unmittelbar Benchmarks zu erhalten.

Warum ist das so wichtig? Unternehmen wissen, dass sie beim Thema Nachhaltigkeit von Kundenseite unter Druck stehen. Das bedeutet, dass gerade jetzt viele Marken ihre nächsten Schritte planen müssen. Dabei gibt es typischerweise drei Konstellationen, in denen sich Brands bewegen:

  1. Es gibt noch keine Maßnahmen hinsichtlich Nachhaltigkeit – aber möglicherweise viele Ideen.
  2. Es gibt bereits einige Initiativen in Richtung Nachhaltigkeit und viele weitere Ideen.
  3. Es gibt bereits viele Initiativen in Richtung Nachhaltigkeit, aber die Frage ist, welche sollen sinnvollerweise weitergeführt werden?

Allen drei Situationen gemein ist, dass priorisiert werden muss, da es – und das ist immer wieder ein wesentlicher Aspekt – nie genug Budget für alle Initiativen oder Ideen gibt. Und gerade vor dem Hintergrund von anfälligen Lieferketten und steigenden Rohstoffpreisen erst recht nicht. Zudem ist die Umsetzung von Nachhaltigkeit immer mit einem spürbaren Eingriff in sehr viele Abläufe im Unternehmen verbunden, was bedeutet, dass weit mehr als die und der Nachhaltigkeitsverantwortliche oder die Marketingabteilung involviert sind.

In Kürze: Das Green Radar

Das „Green Radar” bringt in einem Screening die Kunden-, Markt- und Unternehmensperspektive zusammen. Es ermöglicht auf einem Blick Gaps und Chancen zu erkennen, eine klare grüne Strategie mit umsetzbaren Maßnahmen abzuleiten. Unter dem Motto: „Ganzheitlich denken und Machbares machbar machen” möchte die Initiative von Innofact, Grabarz JmP und Green Fusion Network Unternehmen davor bewahren, an unrealistischen Zielen und kurz gesprungenen Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu scheitern.

Nachhaltigkeit muss aus Kundensicht analysiert werden

Hier gibt es nun zwei Möglichkeiten, um zu priorisieren: Entscheider nehmen sich die neue ESG-Gesetzgebung (Environmental Social Governance) vor. Hier ist zuletzt das Lieferkettengesetz am 1.1.2023 in Kraft getreten. Auch das ESG-Reporting wird in den nächsten Jahren unter bestimmten Bedingungen Pflicht unter der sogenannten Corporate Sustainability Reporting Direktive (CSRD). Eine andere Möglichkeit ist, die Kundenbrille aufzusetzen und sich anzuschauen, was Kunden vom Unternehmen erwarten. Unabhängig von der Gesetzgebung scheint dies in jedem Fall angebracht. Denn mit jeder Maßnahme im Bereich Nachhaltigkeit gehen Unternehmen Risiken ein. Die zwei wichtigsten sind:

  1. Kunden denken, dass ein Unternehmen in einem Bereich besonders nachhaltig agiert, was aber aktuell nicht stimmt. Das bedeutet hohes Risiko, enttarnt zu werden.
  2. Kunden nehmen nicht wahr, dass das Unternehmen in einem Bereich besonders nachhaltig agiert. Das bedeutet vertane Chancen im Wettbewerb.

Unternehmen müssen also die Sicht des Kunden unbedingt kennenlernen, um die eigene Strategie und die eigenen Risken abschätzen zu können und dem Anspruch gegenüber der Gesellschaft gerecht zu werden. Mirko Silz, CEO der Pizza- und Pastakette L’Osteria betont in einem Pressestatement:  Mit Wachstum und Größe steigt auch die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt. Ein paar grüne Vorzeigeprojekte reichen da nicht aus. Deshalb hatten wir von Anfang an den Anspruch, eine ganzheitliche Strategie zu entwickeln.

L´Osteria hat sich die Kundensicht zu Herzen genommen und den Prozess des Green Radars durchlaufen.

Der Prozess des Green Radars 

Und wie geht das? Er beginnt mit einer Bestandsaufnahme, einem Screening der Wettbewerbssituation und einer Einschätzung hinsichtlich Nachhaltigkeit des eigenen Unternehmens aus Kundensicht. Dabei wurden rund 25 Items beziehungsweise Faktoren abgefragt, die auf das Thema „Nachhaltigkeit“ einzahlen könnten. Betrachtet wird dabei nicht nur die nach außen hin werblich darstellbare „Nachhaltigkeit“ etwa durch Produkte, sondern auch der Umgang mit den Mitarbeitern, die Nachhaltigkeit der Produktion und die Kommunikations-Politik des Unternehmens. In einer zweiten Phase wird in einem Workshop, die zum Unternehmen passende Strategie erarbeitet. Das Instrument ermöglicht zudem ein Tracking, um Fortschritte nach Anwendung der neuen Strategie in regelmäßigen Abständen erfassen zu können.

Ergebnis: Durch das Green Radars entstand die neue Nachhaltigkeitsstrategie der L’Osteria unter dem Motto: “Bringing the diversity of people and food to one table”.

Faire Behandlung der Mitarbeiter, die Tierwohl-Initiative und ein nachhaltiges Sourcing waren dabei die priorisierten Punkte, die nach dem Green-Radar-Prozess herausdestilliert wurden.

Was bedeutet das konkret? Dazu gehören die schrittweise Umstellung auf Fisch, Fleisch und Eiern aus nachhaltiger Tierhaltung. Die ersten wichtigen Schritte hierfür sind bereits gegangen: Nach der systemweiten Einführung von Eiern aus Freilandhaltung unterstützt L’Osteria seit 2022 zudem die Europäische Masthuhn-Initiative und verpflichtet sich damit freiwillig bis 2026 in allen europäischen Standorten nur noch Hähnchenfleisch einzusetzen, das den strengen Tierschutz-Standards der Initiative entspricht. Außerdem ist nach der der Umstellung der Pizzateig-Rezeptur auf eine vegane Variante sowie der dauerhaften Einführung eines veganen Pizzaschmelzes auch weiterhin eine deutliche Ausweitung der Plant Based Produktalternativen auf der Speisekarte geplant. Zudem sollen Lebensmittelabfälle reduziert werden.

Thema Mitarbeiter: „Diversität und Chancengleichheit“ soll noch verstärkter in den Fokus gerückt sowie die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen in Innovations- und Entscheidungsprozesse ausgebaut und Talente gefördert werden. Soweit die sehr konkreten Maßnahmen.

L´Osteria mit einer Roadmap 

Das Beispiel der L’Osteria zeigt also, wie Unternehmen die Vielzahl an Nachhaltigkeits-herausforderungen in konkrete Maßnahmen und Roadmaps gießen können. Fazit: Es wurde gemessen, priorisiert und Stück für Stück abgearbeitet. Das Green Radar ist dabei nicht nur ein Untersuchungsdesgin mit einem umfangreichen Katalog an möglichen Items, die das Thema operationalisieren. Sie erlauben auch die Untersuchung der Nachhaltigkeit entlang der 5 Ps im und für das jeweilige Unternehmen aus Kunden- und Marktperspektive. Der Strategieprozess erlaubt die nötigen Maßnahmen hinsichtlich Umsetzbarkeit und Markenpositionierung einzuordnen und schließlich Realität werden zu lassen. Nachhaltigkeit ist also machbar.

 

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