Handelsblatt: Recruiting – Wie Steuerberater dem Fachkräftemangel entgegenwirken
handelsblatt.com: Michael Lachenmaier kann sich kaum erinnern, wann der Klassiker zuletzt Erfolg hatte: „Unsere letzte Printanzeige ist über drei Jahre her – da kam nichts zurück“, sagt der Partner der Kanzlei Lerner Lachenmaier & Partner in Villingen-Schwenningen.
Zumindest kann er sich trösten. Er ist nicht alleine auf der Suche nach Fachkräften. 83 Prozent der Steuerkanzleien nennen die Personalgewinnung als eine der größten Herausforderungen, zeigt eine Umfrage der Beratungshauses SWI Finance.
Auch das Düsseldorfer Marktforschungsinstitut INNOFACT belegt den Engpass: 60 Prozent der Kanzleien klagen in einer Befragung über die Bewerberflaute. 30 Prozent erwägen sogar, Mandate zu kündigen, jede vierte Kanzlei sieht sich gezwungen, künftig Neumandate abzulehnen, um die Belastung für ihre bestehenden Teams zu reduzieren. Jede achte Kanzlei sieht sich sogar gezwungen, über eine Schließung nachzudenken.
Der Druck steigt
Das Steuerrecht und die Bürokratie würden immer komplexer, Betriebsprüfungen und Beleganforderungen durch Finanzämter nähmen zu, sagt Lachenmaier. Zudem würden immer mehr Statistiken angefordert. „Bürokratieabbau heißt leider zu oft, dass Aufgaben, die die Ämter früher selbst erledigt haben, auf Kanzleien wie uns abgewälzt werden.“
Nico Fuchs, Geschäftsführer der Hamburger Personalberatung Hiral, die sich auf Steuerberater konzentriert hat, nennt einen weiteren Grund für die Fachkräftekrise: „Kanzleien konkurrieren zunehmend mit Unternehmen, die eigene Buchhalter einstellen.“ Dort seien die Arbeitsbedingungen vergleichsweise attraktiv, sagt Fuchs. „Sobald ein Steuerfachangestellter einmal in die Wirtschaft wechselt, kommt er meist nicht zurück.“
Wie also können Kanzleien in diesem angespannten Markt wettbewerbsfähig bleiben? Justus Schmidt, zweiter Geschäftsführer von Hiral, empfiehlt, auf „Sinnstiftung, Flexibilität und ein angenehmes Arbeitsumfeld“ zu achten. „Jungen Menschen ist eine gesunde Work-Life-Balance oft wichtiger als Karrierechancen und Geld.“
Absolventen haben freie Wahl
Das Steuerberater-Examen gilt als eine der schwierigsten Prüfungen in Deutschland. Rund 50 Prozent der Teilnehmer fallen durch. „Das Risiko schreckt potenziellen Branchennachwuchs ab, diesen langen Ausbildungsweg überhaupt einzuschlagen“, sagt Fuchs. Und wer es schafft, könne sich seinen Arbeitsplatz aussuchen.
„Passive Stellenausschreibungen sind ein Auslaufmodell“, sagt Fuchs. „Heute ist es in nahezu allen Branchen so, dass die Rollen getauscht haben: Unternehmen bewerben sich aktiv bei den Fachkräften.“ Und dabei gilt es, kreativ zu sein, etwa auf sozialen Medien. Viele Kanzleien haben das erkannt. 80 Prozent der Befragten haben laut INNOFACT-Umfrage ihre Social-Media-Aktivitäten ausgebaut.
„Wenn jemand mein Unternehmen schon mehrfach gesehen oder davon gehört hat, freundet er sich viel leichter mit dem Gedanken an, für mich zu arbeiten“, sagt Schmidt. „Recruiting muss wie Produktmarketing behandelt werden“, fordert er. Kanzleien müssten ihre offenen Stellen und ihre Marke auf allen relevanten Plattformen sichtbar machen – am besten mit echten Einblicken in den Kanzleialltag. „Authentizität ist der Schlüssel. Kandidaten wollen keine gestellten Bilder, sondern echte Mitarbeiter, echte Büros, echte Geschichten.“
Erfolgsversprechend sei dabei vor allem eine Mischung aus Inhalten auf verschiedenen Kanälen: Kurzvideos und Anzeigen auf Instagram und Tiktok. „Da darf es auch mal lockerer und lustig sein“, erklärt Schmidt. Auf Linkedin sollte man eher auf seriöse Beiträge und Anzeigen setzen sowie auf Direktansprachen von Fachkräften.
Grundvoraussetzung dafür sei aber immer, das Arbeitsangebot attraktiv zu gestalten und die Stärken der Kanzlei herauszustellen, ergänzt Fuchs. Mit einem Vorurteil räumt er auf: Die oft diskutierte Viertagewoche sei gar nicht das wichtigste Thema bei Bewerbern. „Es geht selten darum, weniger zu arbeiten – sondern flexibler“, sagt Fuchs. Also Dinge wie Homeoffice, Gleitzeit, Remote-Optionen. „Fully remote arbeitende Kanzleien können sich zudem aus einem viel größeren Bewerberpool bedienen, für uns Headhunter öffnet das den gesamten deutschen Markt.“
Homeoffice ist Typsache
Auch Lachenmaier beobachtet, dass Homeoffice das wichtigste Thema für viele Bewerber sei. „Wir haben sehr positive Erfahrungen damit gemacht“, sagt der Kanzlei-Partner. „Natürlich hängt das ein bisschen vom Charakter des Angestellten ab. Manche können sich besser auch zu Hause mal drei Stunden am Stück auf die Arbeit konzentrieren als andere.“
Neben dem Wunsch nach guter Work-Life-Balance bleibt das Gehalt ein wichtiger Faktor, gerade bei erfahreneren Fachkräften. „Wir müssen wettbewerbsfähige Gehälter zahlen, um mit Unternehmen mithalten zu können, die Steuerfachkräfte mit geregelteren Arbeitszeiten oder anderen Vorteilen locken“, sagt Lachenmaier. Er wirbt auf Jobmessen für seinen Berufsstand, weil er die Imagepflege für wichtig hält.
„Wir müssen das Klischee überwinden, dass unser Job nur aus Zahlen und Formularen besteht, wir arbeiten vor allem mit Menschen“, erklärt der Steuerberater. Man bekomme Einblicke in unterschiedliche Branchen und habe gute Aufstiegschancen. „Der Beruf ist spannend – wir müssen ihn nur anders erzählen.“